Gedanken zum Garten

Pflanzenschleier schmücken und schützen

Schleier schützen und verbergen, Schleier schmücken. In den westlichen Gesellschaften ist der Gebrauch von Schleiern nicht mehr üblich, gleichwohl sind sie lebendiger Bestandteil vieler Bräuche und Kulturen. Ich möchte das Bild des Schleiers deshalb auf den Garten übertragen insbesondere den Aspekt des Schützens und Schmückens.

Auf die Möglichkeit des Verbergens komme ich später noch einmal zurück.

Im Garten bestehen die Schleier ganz konkret aus Pflanzen, die einen dichten Bewuchs über die nackte Erde weben, ein Pflanzendecke, die schützt, die Prozesse des Vergehens und des Wachsens in sich vereint. Eine dichte Pflanzendecke ist das, was die von Menschen nicht beeinflusste Natur uns vormacht: wenn der Mensch nicht eingreift, strebt die Natur danach kein Stückchen Erde nackt und schutzlos den Elementen auszusetzen. Unter dem Bewuchs lebt so manches, was sich unseren Augen entzieht, sehen wir einmal von den dem bloßen Auge nicht sichtbaren chemischen Umsetzprozessen ab. Es entfaltet sich ein tausendfaches Leben unter einer Pflanzendecke, klein, sehr klein, mikroskopisch klein aber auch durchaus größer und sichtbar. Es ist ein, wenn auch kleiner Teil des Kreislauf des Lebens, der, wenn er ungestört und zumindest annähernd ungestört bleibt, schließlich die Basis des Überlebens der Menschheit ist. Das ist die große Linie.

Aber jeder Gärtner kann ein klitzekleines Stück dazu beitragen, dass der Kreislauf erhalten bleibt, wenn er in seinem Garten dazu beiträgt, dass der Boden Schleier trägt.

Bei der Art der Bodenbedeckung ist die Begeisterung und die Fantasie des Gärtners gefragt: Welche Pflanzen bedecken den Boden schön und noch schöner, blühen und fruchten bei welchen Licht- und Feuchteverhältnissen und welchem Boden? Was passt zusammen, was ist invasiv und strotzt vor Kraft, was ist zart und muss von Gärtnerhand beschützt werden.

Soweit die Theorie. Ich habe diese Entscheidung für eine flächendeckende Bodenbedeckung beim Anlegen des Gartens getroffen, aber natürlich nicht sofort und planvoll in allen Bereichen des Gartens umsetzen können. Aber das ist das Schöne daran, bewährte Arten habe ich vermehrt und auch an anderen Stellen angesiedelt, umgesetzt und manchmal einfach erlaubt zu nur zugesehen was sich ansiedelt und was sich durchsetzt. In meinem Garten habe ich, da er eher ein halbschattiger als ein vollsonniger Garten ist, vor allen Dingen Bodendecker, die Schatten oder zumindest Halbschatten ertragen oder bevorzugen. Im Laufe der Jahre sind, zugegeben nicht mit empfindlichen Arten, durchgehende Schleier entstanden. Efeu hat sich im vollen Schatten entwickelt und sich an feuchteren Stellen mit  Lamium galeobdolon vermischt. Dieses Lamium blüht im Frühjahr mit gelben Kerzen, breitet sich willig aus, läßt sich aber auch ganz gut jäten, wenn man eher zuschaut und sich nach ein paar Jahren wundert, wohin es sich ausgebreitet hat. Es leidet nur in sehr trockenen Sommern, bei meinem Lehmboden hat es meistens genug Wasser. Und wenn es denn einmal abgewelkt ist, nach einem durchdringenden Regen schlägt es sofort neu aus und erholt sich in Windeseile. Es ist aber keine Lösung für sonnige Standorte, bei mir durchwebt es Stellen unter Bäumen und Sträucher. Durch die Durchmischung mit Efeu, der nicht nachfragt, ob es genehm ist, mit Lysimachia nummilaria an den Rändern und auch mal Ajuga reptans atropurpurea bilden sich abwechslungsreiche Schleier mit sich ändernden Ansichten im Jahreslauf. An manchen Stellen habe ich Schneeglöckchen angesiedelt, deren Glöckchen dann über das noch überwiegend schlafende Lamium herausragen. Ein entzückender Anblick!

Vinca minor wächst rund um die Birke großflächig  und auch am Rande der Rhododendron. Dort wo es zu sehr wuchert, reiße ich es aus und gebe es - im besten Fall - an interessierte Gärtner weiter oder es kommt eben auf den Kompost. Ein Puff von Asarum hat sich mit den Jahren prächtig entwickelt und steht mit seinen ledrigen Blättern als Ruhepunkt in dem bunten Durcheinander dar. Die Bodendecker, die mir zuerst am meisten geholfen haben Stellen zu begrünen, wo nichts dauerhaft wachsen wollte, stellen heute ein Problem dar, weil sie - man kann es leider nicht anders sagen - unglaublich invasiv sind. Ich meine damit mein wunderbares Geranium macrorrhizum. Es wächst und blüht und wächst vor allem. Das Problem ist, dass es alles andere verdrängt und somit Monostrukturen bildet, was ich nicht haben will. Es darf an vielen Stellen wachsen aber nicht überall. Ich könnte mit den Ablegern ganze Batterien von Gärtnern versorgen! Also was tue ich: ich grabe die Ableger aus und suche nach Pflanzen, die ihm trotzen, damit der flächige Eindruck gebrochen wird.

Manche ordnen Epimedium den Bodendeckern zu. Ich habe Epimedium an verschiedenen Stellen als Gruppe gepflanzt und werde versuchen das starkwüchsige Epimedium pinnatum ssp. colchium auf dem Hang anzusiedeln. Dort kann es seine Bodendeckereigenschaften beweisen, da Lamium dort nicht wirklich erfolgreich wächst. Ich nehme an, es liegt an der Wurzelkonkurrenz der Büsche und der dadurch auftretenden Trockenheit. 

Im Vorgarten habe ich beim Anlegen des Gartens in eine trockene Erde mit einem geringen Humusanteil  als sonnenhungrigen Bodendecker Hypericum calycinum gesetzt. Ein wunderbares Ergebnis für nahezu drei Jahrzehnte: große Blüten, gute Ausbreitung, einmaliges Abschneiden nach dem Winter war die einzig nötige Pflegemaßnahme. Ich weiß nicht mehr wann es passierte: plötzlich war überall nur noch Hypericum. Die Bodenstruktur hatte sich verbessert, es begann zu wuchern! Und wurde zum Problemfall: Überall, aus allen Bodenritzen spross Hypericum. Es ist nahezu nicht zu entfernen, es sein denn man gräbt zwei Spaten tief und klaubt jedes Würzelchen heraus. Das habe ich getan, als ich im vorigen Jahr ein Drittel des Vorgartens neu angelegt und Rosen mit Begleitstauden pflanzen wollte. An die kritischsten Stellen habe ich eine Wurzelsperre verlegt, denn auch verlegte Wegeplatten hindern es nicht am Unterwandern! Es dauert ein bisschen und schwupp hat es die Platten unterwachsen und streckt sich auf der anderen Seite ans Licht. Ich bin gespannt, wie es mit der Begrenzung umgeht, denn schön ist unbestritten wenn hunderte großer gelber Blüten mit rotangehauchten Staubbeuteln in der Mitte sich im Wind wiegen, die Blüten nach der Sonne ausrichten und ein lautes Gebrumm und Gesurre von Myriaden von Hummeln und anderen Insekten zu hören ist. Es wird wie immer auf eine Frage der Toleranz zwischen Gärtnerin und Natur hinauslaufen: wo lasse ich dem Wachsen seinen Lauf und wo greife ich ein, weil ich andere gestalterische oder farbliche Vorstellungen habe. Ich muss also auch immer meine Vorstellungen hinterfragen denn ich habe jedenfalls erfahren, dass mein Garten am schönsten ist, wenn ich mich beuge, wenn Pflanzen nicht da wachsen wollen wo ich es mir gewünscht hätte, sondern plötzlich aufblühen wenn ich ihren Platz gefunden habe. So stehen wir im Dialog und ich freue mich über gelungene Kombinationen, auch wenn es manchmal ganz anders wird als ich urspünglich geplant hatte.